Den Winden folgend

Die Weiten Arizonas. Foto: jag, 2016
Bis ans Ende des Horizonts – die Weiten Arizonas. Foto: jag, 2016

Arizona – Strassen, pfeilgerade, über den Horizont hinausschiessend, dahinter wohl ins Universum fliegend. Himmel so weit wie das Hirn zu denken vermag. Blau, weiss, zerrissen, zerfasert, zuweilen schafwollenweich. Staub und Sand, braun, grau, beige. Dazwischen, von der Trockenheit belagert: ein paar kämpfende Flecken Kraut. Grashalme wie gebleichtes Haar, wiegende Felder den Winden folgend.

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Knorriges Gestrüpp, auf dem ausgedorrten Boden Halt suchend, sich um einsame, ehemalige Trading Posts gruppierend – nicht einmal der Teufel weiss, was hier verkauft wurde. Einsamkeit, ein längst schon verlassenes Leben.

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Einfache Zäune, wohl nur Absichten aufhaltend, die Highways und Interstates begleitend, als hätten sie dasselbe Ziel, sekundiert hin und wieder von schiefen Strommasten, denen sich Kabel entlanghangeln – in Elektronen transformierte Gedanken, durch die Weiten schiessend; Sätze, das Land durcheilend, Wünsche, an den fernen, kaum erkennbaren Bergkette abprallend. Echos der eigenen Unfassbarkeit.

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Hin und wieder das Aufblitzen der Sonne, die von der Windschutzscheibe eines entgegenkommenden Wagens zurückprallt.  Flirrenden Seen, die sich auf dem Asphalt in der Ferne bilden. Darin schwimmend, verkehrt: der Gegenverkehr.

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Sich klein und unbedeutend fühlen in dieser Endlosigkeit. Das Herz, das aufatmet. Frei und gefangen zugleich.

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Eine staubige Perle: Flagstaff, kaum ein Haus höher als ein Stockwerk – eine geduckte Siedlung, selbst ein bisschen eingeschüchtert von der Grösse des Landes und trotzdem stolz seine besten Seiten zeigend. Westernchic, mexikanisches Erbe, fast jedes zweite Haus an der Hauptstrasse ein Restaurant.

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Das MartAnne’s Café mit der verlebten aber immer noch atemberaubend schönen Kellnerin: Sie war wohl einst ein Model. Heute blickt sie nur noch traurig auf die Gäste. Die Wand des Cafés voller mexikanischer Totenbilder. Auf dem Teller, die nächste Tortilla mit Eiern, schwarzen Bohnen und Avocado – ich entkomme der mexikanischen Küche hier nicht, selbst wenn ich über den Horizont fallen sollte.

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Der raue und unwiderstehliche Charme des Südwestens.

Jan Graber, Mai 2016