De-Revolution

ARLINGTON, VA - OCTOBER 26 1967: Antiwar-Demonstranten üben sich im Flower Power an MPs, die das Pentagon Building in Arlington, VA blockieren. October 26, 1967. (Photo by Bernie Boston/The Washington Post via Getty Images)
Flower Power: Antiwar-Demonstranten schmücken am 26. Oktober 1967 die Gewehre von Militärpolizisten, die das Pentagon Building in Arlington, VA bewachen. (Photo by Bernie Boston/The Washington Post via Getty Images)

London – Ist es nur ein unheimlicher Zufall? Oder haben die Aussteller den Gezeitenwechsel vorausgeahnt? Egal wie, der Zeitpunkt für eine Ausstellung zu den 1960er-Jahren mit dem Titel «You Say You Want a Revolution?» könnte kaum passender sein: Sie kommt just zum Paradigmen-Wechsel, der mit der Wahl mehrere populistischer Politiker eingeläutet wird. Ironie der Geschichte: Die Populisten, die so ziemlich alles auf den Kopf stellen, was bisher als anständig und richtig galt, sind selbst Kinder der Revolution der 60er-Jahre und paradoxerweise wohl auch deren Bestatter.

Ein Rückblick auf die zweite Hälfte der 60er Jahre – eine Gesellschaft im Umbruch: Das Establishment wird in den Grundfesten erschüttert und verunsichert durch eine wildgewordene Jugend, Drogen, Sex, Musik, Kunst, Befreiung von Fesseln, Aufbruch zu neuen, unbekannten Ufern. Die Zeit ist wild und gefährlich, experimentierfreudig und «exciting». Die Beatles, die Rolling Stones, Jimi Hendrix, LSD, Marihuana, überbunte Kleider, Pasley-Muster kombiniert mit Militäruniformen, Parodie und Provokation, Lust und Liebe, Widerstand und Wandel. Aber auch Krieg und Kampf: der Kalte Krieg, der Vietnamkrieg, die maoistische Kulturrevolution, Rassenunruhen, der 68er-Aufstand der Studenten. Es ist auch die Geburtsstunde der digitalen Welt – Saatgut für die zwei Jahrzehnte später beginnende technologische Revolution. «You say you want a revolution?» Sie ist dreht auf höchsten Touren.

Die Saat des Verderbens

Installation der Ausstellung «You Say You Want a Revolution» im V&A-Museum London. Photo (c) Victoria and Albert Museum, London
Installation der Ausstellung «You Say You Want a Revolution» im V&A-Museum London. (Photo: Victoria and Albert Museum, London)

Und nun die Populisten – auf die Gipfel der Macht gespült von einer Menge in Missmut, von den Verlierern, die unter die Räder der Revolution gerieten und dasselbe Rad nun zurückdrehen wollen. Zurück zu den guten alten Werten. «Make America Great Again», lautet eine dieser Dogmen. Zurück zu einer Zeit, als Kohlewerke die Landschaften noch in schwarzer Dunkelheit versinken liessen. Als der Feind klar benennbar war und die Welt um einiges weniger kompliziert schien. Als noch gesellschaftliche Zwänge galten und nicht dieses entfesselte, grenzen- und rücksichtslose Ausleben des eigenen Egos jeden Halt verlieren liess.

Die Revolution der 60er-Jahre führte beileibe nicht zu einer nur besseren Welt; sie trug die Saat ihres Endes von Beginn weg in ihren Genen. Der ihr zugrundeliegende Freiheitgedanke, der Aufbruch ins unbändige Erforschen des Ichs und der eigenen Befindlichkeiten führte zwar zu den Segnungen der Gleichberechtigung, den Freiheiten zur Selbstverwirklichung, zum Mut, ans Ich zu glauben und diesem zu folgen. Sie führte aber auch zu den fragwürdigen Auswüchsen, unter denen die Erdkugel heute leidet: entfesselter Egoismus inklusive pathologischer Vereinzelung, Political Correctness in grotesken Ausprägungen, rücksichtslose Ausbeutung des Machbaren zur persönlichen Bereicherung, Haltlosigkeit, Verunsicherung – und zur digitalen Revolution: Segen und Fluch in einem, weil sie zu mehr Wohlstand bei vielen und zu Verarmung bei den anderen vielen führt – zur Angst vor der Globalisierung, weil sie nicht menschenfreundlichen Vorsätzen, sondern den wirtschaftlichen erbarmungslosen Vorgaben des Wachstums folgt. Zu einem Verlust all dessen, was einst als wertvoll und erstrebenswert galt. Von der Revolution über den Mauerfall und dem erwünschten ewigen Frieden zur Digitalisierung und Auflösung – es ist diese dritte Stufe, die die «Children of the Revolution» auf einen zunehmend menschenverachtenden zerstörerischen Kurs geschickt hat.

Back to black

Installation der Ausstellung «You Say You Want a Revolution» im V&A-Museum London. Photo (c) Victoria and Albert Museum, London
Installation der Ausstellung «You Say You Want a Revolution» im V&A-Museum London. (Photo: Victoria and Albert Museum, London)

Die Populisten sind ebenso Nutzniesser dieses krank gewordenen Reality-TV-Zirkus, wie clevere Demagogen, die den Wunsch der verarmten, vom Spiel ausgeschlossenen Menschen nach der guten alten Zeit erkennen und für ihre Pläne missbrauchen. Sie gaukeln Stärke vor und wollen das Rad der Zeit zurückdrehen. Sie möchten De-Revolutionieren – sind aber doch nur Ausgeburt just jenes entarteten Auswuchs einer aus dem Ruder gelaufenen Entwicklung, die in den späten 60ern ihren Ursprung hatte.  Es geht nur um sie selbst, aber im Zug ihres Durchmarsches werden der Freigeist auf dem Komposthaufen der Geschichte geopfert und die Errungenschaften der modernen Welt in die Abwässer der Weltgeschichte hinuntergespült.

Ihr politischer Erfolg gehört zu den unheilvollsten Weichenstellungen der Geschichte. In ihrem Nachglimmen wirkt die Ausstellung «You Say You Want a Revolution» wie ein letztes Aufbegehren, sie klingt aber auch wie der traurige Abgesang. Schau wie schön, wie wild, wie farbig sie war, diese Zeit. Schau, welchen dunklen Zeiten wir entgegengehen. Es wird wieder denkbar, was lange undenkbar war.

Jan Graber, 11. November 2016

Die Ausstellung «You Say You Want a Revolution? Records and Rebels 1966-1970» dauert noch bis zum 26. Februar 2017. Sie geht der Frage nach, wie einflussreich die späten 1960er Jahre auf die heutige Zeit waren. Aspekte wie Mode, Musik, Festivals, Kunst, Literatur, Drogen und Politik werden mit unzähligen Zeitdokumenten, Filmausschnitten, Plattencovers und Objekten ausgeleuchtet. Ein interaktiver Audioguide liefert dazu die passenden Tracks. Tune in, Turn on, Drop out. » zur Ausstellung