Hotel der Träume

Das Milia Mountain Resort wurde mit Materialien der Umgebung und traditionellen Handwerk wieder errichtet. Foto: jag, 2017
Das Milia Mountain Resort wurde mit Materialien der Umgebung und traditionellem Handwerk wiedererrichtet. Foto: jag, 2017

Milia, Kreta – Milia erwuchs aus einem Traum. Geträumt hatte ihn Iakovos Tsourounakis in den frühen 1980er Jahren. Es war ein Traum genährt von alten Geschichten und Erinnerungen, erzählt von den Alten im Schein flackernder Kaminfeuer – Erzählungen über Legenden und Ereignisse, Sehnsüchte und Ideale. Es war ein Traum entzündet aber auch von prägenden Erlebnissen in Iakovos Jugend im Westen Kretas. Er verhiess, das winzige, in einem engen Tal verborgene Dörfchen Milia, das nur noch als Ruinen weniger Hütten bestand – gleichsam aus Steinhaufen – und eine aus Überweidung zerstörte Landschaft wieder auferstehen zu lassen: einen Ort wiederherzustellen, ins Leben zurückzurufen, um nicht nur den Sentimentalitäten Iakovos und seiner Mitträumer ein Heim zu bauen, sondern bald auch anderen Menschen, die sich zurückziehen möchten. Ein ökologischer Ort sollte es darüber hinaus sein, einer, wo die Natur mit Respekt behandelt und das Land rücksichtsvoll bewirtschaftet würde.

Einst war Milia ein Dörfchen in Ruinen, heute ein agro-touristisches Hotel. Foto: jag, 2017.
Einst war Milia ein Dörfchen in Ruinen, heute ist es ein agro-touristisches Hotel. Foto: jag, 2017.

Kampflos wurde der Traum indessen nicht Wirklichkeit. Lokale Schaf- und Ziegen-Hirten betrachteten Milia nach Jahren der Vernachlässigung als ihr angestammtes Weideland. Gerichte wurden angerufen und Streit ausgetragen, bis die zwei Familien Tsourounakis und Makrakis, die sich für das Vorhaben zusammentaten, das Land schliesslich umzäunen und die gefrässigen Ziegen aussperren konnten, damit es sich erholte. Auch Saboteure vertrauter Natur setzten den Träumenden zu: Kaum jemand glaubte an den gesunden Sinn der Sache. Als Verrückte wurden die Familien bezeichnet, die ihre Zeit und Hab und Gut verschwendeten. Was sie allerdings zusätzlich anspornte. Ein gutes Beispiel wollten sie schaffen, wie man mit agro-touristischen Ideen eine beliebte Destination für Reisende schaffen, Kretas schöne Seiten aber dennoch bewahren konnte. Das war Mitte der 1980er-Jahre.

Milia wirtschaftet ökologisch und nachhaltig, vieles wird selbst hergestellt. Foto: jag, 2017
Milia wirtschaftet ökologisch und nachhaltig, vieles wird selbst hergestellt. Foto: jag, 2017

Sie begannen mit dem anstrengenden Werk: Mühselig wurde entsorgt, was schädlich war und aufgeforstet was passte. In einer Nacht an einem Feuer fassten sie den Plan, nicht nur das Land, sondern auch die Siedlung wieder instand zu stellen. Haus um Haus wurde aus den Ruinen gehoben, mit Materialen des Landes, Holz und Stein, zusammengefügt mit Hilfe überlieferten Handwerks, mit Liebe für Details und mit Bewusstsein für das alte Dorf. Strom gab es zunächst nicht, dafür Cheminées. Ein Haupthaus mit Rezeption, Küche und Restaurant entstand, die Zutaten für die Gerichte kamen von dem, was das Land hergab: Gemüse, Obst, Eier, Fleisch, alles was sich selbst auf ökologische und nachhaltige Weise produzieren liess.

Frühstücksterasse des Milia Mountain Retreat. Und eine Katze. Foto: jag, 2017.
Die Frühstücksterrasse und eine Katze. Foto: jag, 2017.

Als Milia aus dem Traum gehoben war, klopfte allerdings ein unheimlicher Gast an die Tür: die Wirklichkeit, des Traums Antipode. Iakovos war ein Visionär aber kein Geschäftsmann. Sollte der Traum nicht in sich zusammenstürzen und Land und Steine mit sich reissen, musste Milia so bewirtschaftet werden, dass es genügend für den Unterhalt abwarf. Milia brauchte eine zweite Heilung und sie kam in der Person von Tassos Gourgouras, eines ehemaligen Film-Managers aus Athen, der sich unversehens in eine neue Rolle versetzt sah, als er Iakovos Tochter heiratete. Tassos kümmerte sich darum, dass Milia selbsttragend wurde, stellte Leistung und Ertrag in Einklang und kaufte Produkte auch bei lokalen Bauern ein. Seit über 20 Jahren kümmert sich Tassos mit einem Partner nun um Milia, empfängt Gäste, gibt Tipps zu Ausflügen und versteckten Stränden abseits der von Touristen heimgesuchten Ufer. Er kennt die gut markierten Wanderstrecken von Milia ins Umland, veranstaltet Kochkurse und der passionierte Weinliebhaber hat vieles über kretische und griechische Weine zu erzählen – er weiss um die besten Tropfen des Landes. «Wir könnten die Erdstrasse nach Milia durchaus asphaltieren», sagt er. Doch die Gäste sollten eine gewisse Anstrengung auf sich nehmen – so bleiben diejenigen fern, die nur auf Komfort aus sind.

Gehen bis zum Wasser: Wandern in der kretischen Landschaft. Foto: jag, 2017.
Gehen bis zum Wasser: Wandern in der kretischen Landschaft. Foto: Alexandra Carambellas, 2017.

Dieser ist in Milia zwar vorhanden, aber nicht überbordend. Gebacken wird das Brot zwar immer noch im Holzofen, doch gekocht wird mittlerweile auch mit Strom. Zwar erhellt elektrisches Licht mit Strom aus Solarpanelen die Wohnungen, doch Stromanschlüsse sucht man vergebens: Geladen werden müssen die Handys und andere elektrische Geräte an einer Stromschiene im zentralen Haus, wo zum Frühstück jeweils die Steckplätze rar werden. Wer das Internet braucht, muss sich ebenfalls ins Haupthaus begeben – dem einzigen Ort mit WiFi-Empfang.

Den Weg ins von dichten Wäldern umfangene, gut versteckte Milia Mountain Retreat schlägt man indessen nicht ein, um pausenlos mit dem Rest der Welt zu plaudern. Das aus den Ruinen gewachsene Anwesen ist ein Ort, um still zu werden – in sich zu gehen, zu sich zu finden und Ideen zu entwickeln. Oder sich vielleicht sogar eigener, längst vergessener Träume zu erinnern und sie zurück ins Leben zu rufen.