Torrontes – Rebell Argentiniens

(c) 2013, Jan Graber
Blick auf die Anden von den Weinbergen Mendozas.

Mendoza – Die weissen Bergspitzen heben sich ab wie Könige gegen den tiefblauen Himmel – den tief hängenden Himmel. Ein Himmel, wie er nur in Südamerika tief hängen und den Menschen nahe kommen kann. Mendoza, Wüstenstadt und sphärisch hoch gelegene Weinmetropole Argentiniens. Eine Stadt, in der so viele alte, verrostete, verbeulte und stilvolle Autos rumkurven, wie sonst vielleicht nur noch in Havanna. Als wäre die Zeit hier in den Siebzigern stehen geblieben. Die Stadt liegt hoch, auf über tausend Metern – so hoch, dass sich Weinranken und tiefer Himmel berühren. Mendoza wäre auch nichts ohne die Berge, ohne den Schnee, ohne dessen Wasser. In Mendoza berührt kaum je ein Tropfen Regenwasser den Boden. Nur das Schmelzwasser der Kordilleren, des Cordon de Plata, des über 6900 Meter hohen Aconcagua, dem höchsten Berg der südlichen Hemisphäre, gelangt nach Mendoza. Das Städtchen wäre ohne die Berge karg, braun und tot. Doch es lebt, vor allem auch dank der Weinindustrie: Frische, kräftige, stolze Tropfen kommen aus den Weingütern Mendozas. Manche wollen es mit den edlen Bordeaux‘ aufnehmen, andere geben sich bescheidener – und eigensinniger. Kraft und Frische, oft knurrige, kantige Frische, bisweilen aber auch eine hohle, leere, sphärische Kraft, ohne Körper. Malbec, die Vorzeigetraube. Cabernet Sauvignon, die alte Dame, die hier zu neuer Jugend findet. Die weisse Chardonnay, die an kaum einem anderen Ort so verspielt wirkt. Und voranstürmend der jüngste Rebell, die weisse Torrontes – ein Abkömmling der Muskateller. Sie wächst zwischen den Kakten Saltas auf sandigem Boden. Sie ist einzigartig, den sie treibt ein hinterlistiges Spiel: Die Nase verführt sie mit der Würze ihrer Ahnen, der Muskateller, doch im Gaumen überrascht sie mit dem kontrastreichen Zusammenspiel bestehend aus der hier typischen Hitze des Tages und Kälte der Nächte. Ein Rebell, ein Narr – ein Kind geboren aus dem Zusammenspiel von staubtrockener Wüste und den Leben spendenden Bergen – eine Erleuchtung für Weinsuchende.

Jan Graber, 16. April 2014