Der Genuss-Architekt

Kunstliebhaber Sacha Menz vor einer Fotografie von Balthasar Burkhard. Foto: Christine Benz.

PORTRAIT – Der ETH-Architekturprofessor Sacha Menz hat seine Küche selbst gestaltet, ist mit Spitzenköchen rund um den Erdball befreundet und gehört zu den wenigen Privatpersonen, die von Bianchi direkt beliefert werden. Besuch bei einem wilden Food-Aficionado.

Die Geschichte könnte mit dem versteckten roten U-Boot-Licht in Sacha Menz’ Küche anfangen. Oder mit den zwei grossen Backöfen, einer für Süsses, der andere für Salziges. Sie könnte mit dem Cheminée beginnen, das in der Küche statt im Wohnzimmer steht, oder ihren Anfang bei den Spitzenköchen nehmen, die hier schon von Menz bekocht wurden. Sie beginnt jedoch im Auto von Sacha Menz, Architekturprofessor an der ETH Zürich, ehemaliger Leiter des Architekturdepartements, Forscher und Mitbegründer des Architekturbüros SAM Architekten. Ein grossgewachsener Kerl, dessen markanten Schädel man nicht nur in jedem Delikatessladen in der Schweiz und über die Grenzen hinaus kennt, sondern der auch befreundet ist mit Spitzenköchen rund um den Erdball, weil er bei ihnen ein- und ausgeht wie ein Stammgast.

Mann mit Tomahawk. Bei Bianchi in Zufikon. Foto: Christine Benz, 2018..
Mann mit Tomahawk. Bei Bianchi in Zufikon.

Wir befinden uns auf dem Weg nach Zufikon zum Hauptsitz des Delikatessenhändlers Bianchi. Kurz nachdem wir losgefahren sind, beginnt Menz zu erzählen. Er fährt, sucht mit dem Navigationssystem seines Handys nebenbei den Weg (obwohl die brandneu duftende Limousine über ein GPS verfügt), und beantwortet auf der kurzen Fahrt beinahe schon sämtliche Fragen, die der Schreibende zu stellen beabsichtigte, ohne dass sich Gelegenheit ergab, diese auch zu formulieren. Sacha Menz spricht gerne; wie ein Wasserfall und druckreif. «Heute werde ich alles über dem offenen Feuer kochen », sagt er und fügt an: «Desserts mache ich nie, das ist die Domaine meiner Frau Katharina.»

Und auf einmal kommt der Redefluss in Stereo, denn wir sind bei Marina Hofmann eingetroffen, neben den Bianchi-Brüdern die Grande Dame des Betriebs: Ein Wirbelwind, der alle um sie herum mitreisst, Sacha Menz herzlich begrüsst, und sofort beginnen sie zu scherzen, während er den Fisch auswählt und wir dazwischen einen frischen Caprino di Latte direkt aus der Verpackung probieren. «Sie ist eine Rakete! », sagt Sacha Menz später. Schon lange seien sie befreundet und bei Bianchi würden sie den Respekt schätzen, den er ihren frischen Produkten entgegenbringt. Menz: «Ihre Qualität hat Weltklasse!» Mit einem ganzen Turbot (Steinbutt), einem Dutzend Rock Lobster (roten Langusten), einem 800 Gramm schweren Dry Aged Tomahawk Steak und einem Karton Schweizer Pilzen verlassen wir den Delikatessenhändler, befinden uns schon wieder im Auto auf dem Weg nach Stäfa zum Feinkostgeschäft Pastiamo und deren Betreibern Boris Bühler und Ralf Sudan.

«Bei der Architektur geht es wie beim Kochen darum, aus qualitativ hochwertigen Einzelteilen ein Ganzes zu schaffen»

Bestechender Foodkenner: Zubereitung der Rock Lobster. Foto: Christine Benz, 2018.
Bestechender Foodkenner: Zubereitung der Rock Lobster.

«Meine Frau und ich nennen sie nur ‹die Jungs›», sagt Menz. «Die Jungs» werden am Abend ebenfalls dabei sein und in der Küche mithelfen. Der Architekt bewegt sich mit einer Selbstverständlichkeit im Laden, als gehörte er auch ihm, geht hinter den Tresen, bespricht sich mit den beiden Betreibern und fragt sie, was sie von Pistazien zum Turbot halten. «Das könnte gut passen», sind sie sich einig und gemeinsam kritzeln sie die möglichen Kombinationen auf ein Stück Papier. Zutaten werden gestrichen, andere kommen hinzu – bis sich eine Matrix entwickelt, auf der das viergängige Menü steht. «Ich entscheide immer spontan, was ich koche, je nachdem, was gerade vorhanden ist», sagt Menz. Was sich im Laden abzeichnet, bestätigt der Architekt kurz darauf: «Kollaborationen sind mir extrem wichtig.» Dies gelte auch in seinem Architekturbüro, wo er zwar an jedem Projekt teilhat, aber nicht im Zentrum stehen muss. «Wir pflegen kein Autorentum.»

Für Sacha Menz steht es ausser Frage, dass Kochen und Architektur verwandt sind: «Bei der Architektur geht es wie beim Kochen darum, aus qualitativ hochwertigen Einzelteilen ein Ganzes zu schaffen », sagt er. Sowohl beim Nahrungsmittel wie beim Bauen sei es entscheidend, die Prozesse im Zusammenhang mit den verwendeten Produkten zu verstehen. Und dann kommts: «‹Der Grosse Larousse Gastronomique› war von Anfang an die Grundlage für meine Architekturvorlesungen », worauf dem hier Schreibenden zunächst einmal nichts mehr einfällt. Dann fügt Menz eines seiner zentralen Leitworte an: «Details.» Er lege grössten Wert auf Details, auch in seiner Küche, wo wir mittlerweile angelangt sind. «Das Design der Küche stammt komplett aus meiner Feder», sagt er. «Alle Wege sind durchdacht. Hier hinten ist mein Reich, da kenne ich keinen Spass», und wirkt wie ein König hinter der grossen quadratischen Mittelkonsole, auf der sich die Induktions- und Gasplatten sowie der Teppanyaki- Grill präsentieren. In seinem Rücken befindet sich eine offene Feuerstelle, zu seiner Rechten zwei Öfen und Kühlschränke, auch diese in doppelter Ausführung. Dann bedeutet er uns, näher zu kommen und zeigt uns verschmitzt die versteckte rote Lampe, die nur von seiner Warte aus sichtbar ist. «Diese hat keinen anderen Zweck, als rot zu leuchten – wie in U-Booten, die auf Angriff gehen: Wenn sie brennt, beginne ich zu kochen.» Sagt’s und grinst wie ein Lausbube.

Mis en place: Gute Vorbereitung ist für Menz das halbe Kochen. Foto: Christine Benz, 2018.
Mis en Place: Gute Vorbereitung ist für Menz das halbe Kochen.

Ihn fasziniere das Disziplinierte, fast Militärische in der Küche, sagt er und reiht die Zutaten für die geplanten Gerichte exakt auf. «Die Mise en Place ist für mich das halbe Kochen.» Er, der 1963 in Wien geboren und in Hamburg aufgewachsen ist, erzählt von seinem Kindermädchen: der Monica aus Liverpool. «Was sie kochte, konnte man nicht essen! Es war fürchterlich, ich verzweifelte.» So entschied er – als Fünfjähriger (!) – in der Not, selbst zum Kochlöffel zu greifen und briet Salamischeiben an. Stück um Stück arbeitete er sich der Kochkunst empor, belegte als 14-Jähriger gemeinsam mit einem Freund einen Kochkurs für Knaben (Menz: «Wir gewannen jeden abendlichen Wettbewerb») und lernte, wie wichtig methodisches Arbeiten ist. So, wie sich Sacha Menz die Zutaten zurechtlegt und sich durch die Küche bewegt, kommt die eigentliche Herstellung der Speise dem Schwertstreich eines Zen-Meisters gleich: blitzschnell und federleicht. Apropos: Menz ist stolzer Besitzer mehrerer von alten japanischen Meistern hergestellter Messer; spröde wie Blätterteig, wertvoll wie Kunstwerke. Japan zählt zu seinen liebsten Destinationen, aber eigentlich fühlt er sich auf der ganzen Welt zu Hause. Zu seinen Fachgebieten gehören das Bauen der Zukunft und verdichtetes, grünes Bauen. «Dense and Green» heisst das Programm. «Wichtig dabei ist, guten öffentlichen und gemeinschaftlichen Raum zu schaffen – zu vieles wird heute privatisiert», sagt er. Das Ziel sei, grünen Lebensraum in die Vertikale zu bringen.

Selbst ist der Mann: Menz hat die Küche von Grund auf nach seinen Bedürfnissen gestaltet. Foto: Christine Benz, 2018.
Selbst ist der Mann: Menz hat die Küche von Grund auf nach seinen Bedürfnissen gestaltet.

In der Küche bewegt sich aber gerade alles in der Horizontalen: Der drei Kilo schwere Steinbutt liegt platt auf dem Grill, die «Jungs» sind aufgetaucht und helfen beim Anrichten der Teller, Menz’ Frau hat den Tisch gedeckt und die 14-jährige Tochter Emilia wirft ebenfalls einen kurzen, skeptischen Blick in die Küche. «Gemeinsame Aufgaben bringen Menschen zusammen und klären, wer führen kann», sagt Menz trocken. Es gehe darum, die Leute zu begeistern. Begeistern lässt er sich auch selbst gerne und kennt dabei keine Berührungsängste: Wenn er auf seinen Reisen von einem Restaurant fasziniert ist, latscht er einfach in die Küche und beginnt mit den Köchen ein Gespräch. So hat er Freundschaften rund um die Welt geschlossen, ist ebenso mit Ferran Adrià, Norbert Niederkofler oder Elena Arzak befreundet wie mit den Schweizer Spitzenköchen Didi Bruna oder Rico Zandonella. Und Martin Dalsass’ Sohn hat bei ihm Architektur studiert. Einige von ihnen wurden auch schon von Sacha Menz bekocht.

«In meinen Ferien gehe ich manchmal zu Spitzenköchen arbeiten», sagt er. Er nennt diese Gastronomen «irrsinnige Gestalten» und seine Augen leuchten, wenn er von deren Präzision und Disziplin erzählt. Das Wichtigste sei ihm, experimentell zu bleiben und Grenzen auszuloten. «Alle unglaublichen Rezepte sind aus Fehlern entstanden», ist er überzeugt. Sagt’s und schaltet das rote Licht aus, denn es ist fertiggekocht; jetzt wird gegessen.

Text: Jan Graber, ©Fotos: Christine Benz, 2018. Das Portrait ist erstmal im Marmite 3/2018 erschienen.

Auf Angriff: Das rote Licht leuchtet, wenn Sacha Menz kocht. Foto: Christine Benz, 2018.
Auf Angriff: Das rote Licht leuchtet, wenn Sacha Menz kocht.
Befeuert: Die Tomahawk-Steaks brutzeln im offenen Cheminée in der Küche. Foto: Christine Benz, 2018.
Befeuert: Die Tomahawk-Steaks brutzeln im offenen Cheminée in der Küche.
Genussfischer: Sacha Menz mit einem Steinbutt bei Bianchi in Zufikon. Foto: Christine Benz, 2018.
Genussfischer: Sacha Menz mit einem Steinbutt bei Bianchi in Zufikon.