Punk’s not dead
London – Für viele Aussenstehende war Punk meist nur eine Modeerscheinung. Halb fasziniert, halb abgestossen von den unheimlichen Gestalten in schrägen, zerschlissenen und offensiven Klamotten, mit farbigen, gespikten Haaren und bisweilen groteskem Verhalten – zuvorderst an Konzerten, wenn sie, Arme und Beine wild um sich schwingend, den Pogo tanzten, bis das Blut floss –, nahmen sie lediglich das krasse Äussere war. Auch die Medien verfielen – wen wunderts? – vor allem den Erscheinungsbildern; selten gingen sie der Sache wirklich auf den Grund, und die Auseinandersetzung fand selten tiefschürfend statt. Das gilt in vielen Fällen selbst in der aktuellen Aufarbeitung dieser wohl letzten grossen Erschütterung der Rockmusik. So dauerte es nach der Geburtsstunde des Punk auch nicht lange, bis der Stil massentauglich gemacht wurde und stückweise Einzug in renommierte Labels und andere Lebensbereiche fand.
Auch die kleine, überraschend ungewöhnliche Ausstellung «Punks» im Museum of London orientiert sich zunächst am Kleiderstil: Prominent hängt eine von Hand bemalte Jacke in einer Vitrine, mit in fetten Lettern «The Clash» und «Angelic Upstarts» auf den Rücken geschrieben. Die grossen Namen der Bewegung der frühen Siebzigerjahre bleiben aber danach auf erfrischende Weise aussen vor.
In der Ausstellung, die aus Sammlungsstücken des Ex-Punks Trevor Smith besteht, kommen die einfachen Protagonisten dieser Zeit zu Wort: Sie erzählen, wie sie als Teenager in den 70ern zum Punk fanden, aus welchen Ecken Londons sie stammten und wie sie im energetischen, bisweilen politischen Aufschrei eine eigene Stimme fanden. Hier sprechen die ehemaligen Fans und nicht Stars à la Rotten und Billy Idol von ihrem Einstieg in die Bewegung. Dass man die Protagonisten auch in aktuellen Aufnahmen sieht, verschafft der Austellung eine zusätzliche Dimension und der Besucher sieht: Einige sind bis heute Aussenseiter geblieben.
No past – no future
Paradoxerweise wird durch die (leider etwas zu kleine) Gratis-Ausstellung, die Punk vordergründig auch an der Mode festgemacht, bewusst, dass sich Punk nie nur auf Fashion und andere Äusserlichkeiten reduzieren liess – auch nicht auf die Musik. Punk lässt sich nicht einmal an einer bestimmten Zeit festmachen. Zwar begann die Bewegung offiziell in den frühen Siebzigerjahren, aber die Geisteshaltung bestand schon lange davor. Und sie dauerte an, als eine adaptierte Form von «Punk» bereits von grossen Mode- und Lifestylekonzernen vereinnahmt und ausgeschlachtet worden war. Punk war nie ein Fashion-Statement, auch wenn es so wahrgenommen wurde. Punk ist vielmehr stets Lebenseinstellung: eine freiheitliche, antiautoritäre, provokative Haltung, die unabhängig von Alter, modischem Stil oder anderen Schubladen lebt. Deshalb kann ein heutiger 16-Jähriger ebenso Punk sein, wie der alte Hase, der den Urknall der Bewegung erlebt hat.
Auch einige der ehemaligen Punks verstanden dies indessen falsch und wurden, als der modische Punkstern verblasste, zu stinknormalen, bisweilen biederen Menschen. Andere lehnten kategorisch alles, was nach ihnen kam, schnöde als Nachahmer-Punk ab. Die Restlichen aber wissen: Punk’s not dead. Und manchmal trägt er sogar Prada.
Jan Graber, 9. Oktober 2016
Die Ausstellung im Museum of London dauert vom 1. Oktober 2016 bis 15. Januar 2017. Sie ist gratis und besteht aus Stücken der Sammlung von Trevor Smith. » Zur Ausstellung
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