Die Kamera isst mit

Food – Millionen Nutzer sozialer Online-Netzwerke posten täglich Bilder ihrer Food-Kreationen. Die Portale gewinnen Einfluss auf unser Essverhalten.

Die Wurst kommt zuletzt, abgeschlagen auf dem 20. Platz. An vorderster Stelle steht die Pizza,  gefolgt von Sushi. Nein, die Rede ist nicht von dem, was die Menschen weltweit am liebsten essen, sondern von den Food-Bildern, die sie weltweit am häufigsten auf Instagram posten.

31 Millionen Foodporns

Zusammengestellt wurden die Zahlen von Sousvidetools.com, einem Lieferanten für professionelle Küchengeräte. Laut der Website waren auf Instagram bis Mai 2016 unter dem Hashtag #pizza 20 Millionen Fotos zu finden. Eine wissenschaftliche Grundlage hat die Liste freilich nicht. Sie zeigt aber dennoch, wie beliebt das Veröffentlichen von Essensbildern im Internet generell ist. Unter #foodporn, dem Lieblings-Hashtag aller vernarrten «Foodies», wie sich die Essenfans nennen, findet Google derzeit über 31 Millionen Resultate.

So viele Einträge zwingen zu fragen, ob und inwiefern die Flut der Foodbilder in Online-Medien Einfluss auf unser Essverhalten nimmt. So gehört laut «BBC Good Foods Report 2016» sogenannter Insta-Ready-Food zum Beispiel zu einem der heissen Foodtrends 2017: Küchenchefs, Konditoren und viele weitere Nahrungsmittelprofis wissen, dass ihre Kunden – die Foodies – fotografieren, was sie konsumieren, und die Bilder auf Social-Media-Plattformen posten.

Entsprechend Instagram-tauglich setzen die professionellen Anbieter ihre Produkte mittlerweile in Szene: Bäckereien stellen Bagels in Regenbogenfarben
her, und Gastronomieunternehmen erfinden optisch auffällige Gerichte, beispielsweise mit Algen blau gefärbten Kaffee oder Burger mit schwarzen Buns – im Wissen, dass die Bilder später auf sozialen Online-Netzwerken zu finden sind.

Die Grenzen zu den Foodies aber sind fliessend – Profis wie Laien posten, was das Zeug hält. Bei Letzteren allerdings geht es auch um Status: Wer zeigt, dass er sich bei den neusten Trends und Restaurants auskennt, weckt Neid und sucht nach Anerkennung. Auch das Veröffentlichen der privaten Kochkünste dient dazu, das eigene Ansehen zu heben. «Es geht ein bisschen ums Angeben», gibt Oliver Baroni, Musiker, Journalist, passionierter Koch und überzeugter Foodbilder-Publizist, unumwunden zu. Er mag das emotionelle Feedback, das die Bilder auslösen und bezeichnet sich sogar als «Klugscheisser»: «Ich habe durchaus einen demagogischen Ansatz und vermittle gerne, was die richtige oder falsche Zubereitungsart gewisser Speisen ist», sagt er. Zum Genuss gehört nicht mehr nur das Essen des Gerichts, sondern auch das Veröffentlichen dessen Abbilds. Entsprechend überlegen sich Foodies bereits bei der Zubereitung, was sich besonders augenfällig in Szene setzen lässt.

Genuss unter sozialer Kontrolle

Bereits in der Steinzeit nahm das soziale Umfeld Einfluss aufs Verhalten. Mit den Online-Netzwerken hat die Einflüsterung indessen eine neue Lautstärke erreicht. Die Hysterie um Gluten-, Laktose- und andere Unverträglichkeiten wäre ohne die digitalen Buschtrommeln so kaum denkbar gewesen. Der Wunsch wächst, sich möglichst richtig und gesund zu ernähren.

In Diät-Apps wie «Meal Logger» holen sich Abnahmewillige mittels Foodbildern Lob, Anregung und Kritik und setzen sich so freiwillig der sozialen Kontrolle aus. Teuflisch fies wirken angesichts dessen die Ergebnisse einer Studie des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie von  2012, die nachweisen, dass Food-Bilder zur Ausschüttung des Grehlin-Hormons führen: Das Hormon steuert das Hungergefühl.

Auch das Essverhalten in der Gruppe verändert sich. In Südkorea hat sich beispielsweise ein Trend namens Muk-Bang entwickelt: Das Live-Streamen während man seine Mahlzeit geniesst. Die Streamer essen zwar gemeinsam, man sitzt aber nicht am gleichen Tisch; der Austausch findet mittels digitaler Übertragung statt. Mit den sozialen Netzwerken wächst damit auch die Aufmerksamkeit, die wir der Ernährung schenken. Gerichte, die vor dem Social-Media-Zeitalter noch als exotisch galten, gehören heute wie selbstverständlich auf den Ernährungsplan des hippen Netzwerkers. Durch die konstante Bombardierung mit Informationen wechseln sich Food-Trends mittlerweile jährlich ab: Während gestern noch Federkohl wegen seines Status als Superfood als höchstes der Gefühle galt, wird er derzeit gerade von Blumenkohl abgelöst.

Die Grossisten gehen an den Trends natürlich nicht blindlings vorbei. So beobachtet Migros zum Beispiel die sozialen Plattformen und variiert je nach Produktkategorie und Trend das Angebot. Eine Rolle spielen aber auch direkte Produktanfragen von Kunden – welche in vielen Fällen wohl ebenfalls durch Facebook & Co. inspiriert wurden. Die Auswirkung sozialer Online-
Netzwerke aufs Essverhalten wird in der Schweiz generell aber eher aus den Augenwinkeln beobachtet. Laut den jeweiligen Medienstellen befassen sich weder Nestlé, das Marktforschungsinstitut GfK noch der Trendforschungs-Think-Tank Gottlieb-Duttweiler-
Institut mit dem Thema.

Jan Graber.
Dieser Text erschien am 12. Februar 2017 in der Schweiz am Sonntag (neu: Schweiz am Wochenende).